Meine erste Bekanntschaft mit dem Radio war mit einem Volksempfänger.

Er sah elfenbeinfarbig aus, war ziemlich klein. Es rauschte, weil die Antenne ein Draht war. Obwohl der Krieg schon 15 Jahre zurücklag, konnte ich vermutlich damals keine Auslandssender hören, aufgrund der technischen Voreinstellung nach Goebbels Wünschen. Aber mich interessierten mit drei oder vier Jahren auch keine Auslandssender.

Beim Volksempfänger war es im Dritten Reich nur möglich den Deutschlandsender und ein Bezirksradio zu empfangen, mit anderen Geräten konnte man auch Auslandssender hören:

"Beim Volksempfänger hört man Deutschland über alles, beim Großempfänger hört man alles über Deutschland!"

60 % der im Dritten Reich verkauften Neugeräte sind keine Volksempfänger, sondern Markengeräte, mit denen man technisch auch Auslandssender empfangen kann. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs steht auf das Hören von sogenannten "Feindsender" die Todesstrafe.

In der sowjetisch besetzen Zone nutzte man die gleiche Technik zur Zensur. Wikipedia schreibt dazu:

"Die Anzahl der Röhren war – wie später die Anzahl der Transistoren – ein Maß für die Empfangsqualität des Geräts. So konfiszierte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in ihrer Zone alle Rundfunkempfänger mit mehr als drei Röhren. Nur bestimmte Politiker und Beamte durften solche Geräte behalten, um spezielle Nachrichtensendungen aus dem nicht sowjetisch kontrollierten Gebiet zu empfangen. Allen anderen blieb mit drei oder weniger Röhren nur der Empfang des von der Besatzungsmacht zensierten Deutschlandsenders und Berliner Rundfunks."

Von dem ahnte ich aber alles nichts. Ich suchte nach Erklärungen, wie der Volksempfänger funktionierte. Ich fand es in einem Kinderbuch. Schön illustriert zeigte es mir, wie im Radio lauter kleine Männchen sitzen, die sprechen oder mit Musikinstrumenten Musik machen. Obwohl ich allen alles Gute wünschte und sehr mitfühlend war, machte ich mir keine Gedanken, woher die kleinen Männchen ihr Essen und ihre Getränke bekamen.

Thomas, ein Freund meines Vaters, hatte ein gutes Einkommen, was nicht nur zu einem Auto führte, sondern auch dazu, daß er seine alte Musiktruhe gegen eine neue austauschte. Für ein paar Mark bekam mein Vater die alte Musiktruhe, von Thomas zu unserem Haus transportiert und aufgestellt. Sie enthielt ein Radio, ein Tonbandgeräte und stand auf einem Schränkchen, das in der unteren Abteilung Glastüren besaß. Mit diesem Radio konnte man viele Sender hören, aus aller Welt, manche allerdings nur mit Rauschen. Zwischen Mittelwelle und UKW wechselte man durch Drücken eines elfenbeinfarbigen Knopfes.

Das Tonbandgerät enthielt auch noch ein aktuelles Tonband mit den Schlagern der Zeit wie zum Beispiel "Schützenliesl" und "Anneliese":

"Anneliese, ach Anneliese
warum bist du böse auf mich?
Anneliese, ach Anneliese,
du weist doch, ich liebe nur Dich.
Doch ich kann es gar nicht fassen,
dass du mich hast sitzen lassen
wo ich mit dem letzen Geld
die Blumen hab für Dich bestellt.
Und weil du nicht bist gekommen,
hab‘ ich sie vor Wut genommen,
ihre Köpfe abgerissen
und dann in den Fluss geschmissen.
Anneliese, ach Anneliese".

Das Radio tat 40 Jahre seinen Dienst. Ich habe in meiner ganzen Jugend nur dieses Radio gekannt. Beatles, Rolling Stones, Wolf Biermann, Reinhard Mey und viele andere Gruppen und Sänger habe ich mit diesem alten Radio kennengelernt.

Hans-Peter Oswald
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