Vorurteil 1: Handwerk ist vor allem eins: Harte Arbeit, die wenig geistige Herausforderungen bietet.
Nein, sagt Sarah Jetter, Elektrikerin für Energie und Gebäudetechnik im dritten Lehrjahr aus Steinheim an der Murr. Gerade bei der Arbeit mit Strom heißt es: Mitdenken! Denn sonst kann es gefährlich werden. Bei der Errichtung von Verteilerkästen oder der Verdrahtung von Schaltungen ist logisches Denken sowie mathematisches und physikalisches Knowhow nötig. Und nicht jede Baustelle ist gleich: Klar kommt die 19-Jährige auch mal ins Schwitzen, wenn sie Schlitze fräsen oder Löcher bohren muss. „Aber dann gibt es auch wieder Baustellen, auf denen ich programmieren oder Messungen machen muss. Die Abwechslung macht den Job so spannend“, so die Auszubildende.
Fakt ist: Dachdecker lassen Drohnen fliegen, Optiker fertigen Brillengestelle mit dem 3D-Drucker, große Werkstätten behalten den Überblick über Ausrüstung und Maschinen mit Hilfe von Trackingsystemen: Die Digitalisierung durchdringt zunehmend das Handwerk. 2020 setzte schon jeder zweite Betrieb in Deutschland digitale Technologien oder Anwendungen ein, heute sind es noch mehr. Für Peter Friedrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart, ist das keine Überraschung: „Wir erleben eine rasante technologische Veränderung fast aller Handwerksberufe, aber viele Klischees bleiben hartnäckig in den Köpfen. Durch die Digitalisierung und Transformation haben sich viele Berufe weiterentwickelt und sind dadurch auch komplexer geworden. Handwerkerinnen und Handwerker arbeiten schon immer am Puls der Zeit und gehen oft mit innovativen Ideen voran.“
Vorurteil 2: Wer kreativ sein will, studiert am besten was mit Medien oder Kunst.
Fabian Schöllhammer, Installateur-, Heizungsbau- und Klempnermeister aus Nürtingen, war auch von diesem Irrglauben geleitet und wollte eigentlich Grafik-Designer werden. Doch als dieser Traum nicht erreichbar war, fing er auf Rat seines Vaters doch eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik an. Und siehe da: „Ich erkannte schnell, dass ohne Kreativität und Gestaltung der Beruf gar nicht funktionieren würde“, erzählt der 38-Jährige. Im Familienbetrieb plant er nun Bäder und lässt sie zu Wohlfühloasen und Rückzugsorten werden. „Wir bringen gezielt Farben und Formen zueinander, spielen mit Licht und Schatten, kombinieren Materialen und Oberflächen, und lassen hieraus Harmonien entstehen“, schwärmt der Handwerker. Als Klempnermeister gestaltet er auch ganze Gebäude durch neue Fassaden um. Egal welche Aufgabe, für jede müssen er und sein Team eine maßgeschneiderte Lösung finden.
Auch Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerin Sophia Thiem aus Schlierbach sagt, das Vorurteil stimmt nicht. „Vor allem mit Mosaiken kann man coole Motive oder Muster legen“, erzählt die 19-Jährige. Je nach Kundenwunsch kann sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Auf der einen Seite muss Sophia verschiedene Techniken und den Wärme-, Schall- und Feuchteschutz beherrschen, auf der anderen Seite die Farbenlehre und Gestaltung – diese Vielfältigkeit in ihrer Arbeit begeistert die junge Gesellin.
Fakt ist: Handwerkerinnen und Handwerker entwerfen oft ihre eigenen Produkte, sei es Möbel, Schmuck oder Kleidung, gestalten Räume oder bauen Häuser. Dieser kreative Prozess umfasst das Entwickeln von Ideen, das Skizzieren von Entwürfen und das Auswählen von Materialien. „Kreatives Denken ist auch entscheidend, wenn es darum geht, Lösungen für handwerkliche Herausforderungen zu finden – egal ob es sich um die Anpassung eines Designs an spezifische Kundenwünsche oder die Überwindung technischer Hürden handelt“, erklärt Peter Friedrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart.
Vorurteil 3: Manager/in kann man nur werden, wenn man studiert.
Auf keinen Fall, sagt Michaela Hubrig, gelernte Maler- und Lackiererin, Malermeisterin, Gerüstbaumeisterin und staatlich geprüfte Betriebsmanagerin. Gemeinsam mit ihrem Vater leitet sie das Familienunternehmen in Dürnau. „Ich bin auf jeden Fall eine Managerin, aber eben nicht nur aus dem Büro raus, sondern ich bin mittendrin!“, berichtet die 38-Jährige. Als Betriebsinhaberin ist es ihre Aufgabe, neue Geschäftsideen zu entwickeln sowie die Mitarbeitenden zu führen, auszubilden und zu motivieren. Auch die Budgetierung, Materialplanung, Baustellenkoordination und Qualitätssicherung gehört zum Tagesgeschäft. „Mein Alltag ist ein Balanceakt zwischen Planung und Praxis, zwischen strategischen Entscheidungen und operativen Herausforderungen“, fasst die Gerüstbaumeisterin zusammen.
Auch Markus Rockenstein, Installateur- und Heizungsbaumeister aus Stuttgart-Plieningen, würde sich als Manager bezeichnen. „Ich manage in unserem Betrieb die unterschiedlichsten Bereiche, von den Beratungsgesprächen mit den Kunden über die Angebotserstellung bis hin zur Projektplanung, wo wir uns mit anderen Gewerken abstimmen müssen. Auch Lohnverhandlungen sowie Werbe- und Sponsoringentscheidungen liegen in meiner Hand“, erzählt der 33-Jährige. 2022 ist er zusammen mit seiner Schwester und seinem Cousin in den elterlichen Betrieb eingestiegen. Wie er zum Chef wurde? Ganz einfach: Nach der Mittleren Reife hat er die Ausbildung zum Anlagenmechaniker Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik absolviert und nach vier Jahren Berufserfahrung sich auf der Meisterschule weitergebildet.
Fakt ist: „Im Handwerk ist es so einfach wie in kaum einer anderen Branche, die Karriereleiter schnell aufzusteigen und Chef zu werden“, so der Kammerchef.Zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten bereiten im Handwerk speziell auf Führungs- und Managementaufgaben vor. Beispielsweise können ausgebildete Gesellinnen und Gesellen das fachliche und technische Knowhow an der Meisterschule ausbauen. Dort werden sie auch in der Personal- und Betriebsführung weitergebildet. Wer das noch vertiefen möchte, setzt die Weiterbildung zum/r geprüften Betriebswirt/in (HwO) obendrauf. „Als selbstständige Unternehmerin oder Unternehmer übernimmt man schließlich Managementaufgaben und trägt Verantwortung für seinen Betrieb und seine Mitarbeitenden, aber auch für die Nahversorgung in der Region“, bekräftigt Peter Friedrich.
Wer jetzt Lust aufs Handwerk bekommen hat, dem empfiehlt der Kammerchef ein Praktikum zu machen. Zum Beispiel am Girls’Day, am 3. April, oder während der Praktikumswochen vom 31. März bis zum 25. April gebe es die Möglichkeit, in einen Handwerksberuf reinzuschnuppern und einen Betrieb näher kennenzulernen. „Da das Handwerk so vielseitig ist, ist für jedes Talent etwas dabei. Es ist wichtig, sich auszuprobieren, um herauszufinden, was einem gefällt“, ist Friedrich überzeugt.
Eine Übersicht der Ausbildungsberufe finden Sie hier: www.hwk-stuttgart.de/berufe
Weitere Informationen: www.hwk-stuttgart.de/berufsorientierung
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