Im Interview mit Carina Mayr sprechen wir über die Chancen und Grenzen von KI in der Sprachdienstleistung, über veränderte Kundenerwartungen, neue Workflows, ethische Herausforderungen und die zentrale Rolle, die menschliche Sprachexpertise auch künftig spielen wird.

Frau Mayr, wie sehen Sie die Zukunft der Übersetzungsbranche in den nächsten fünf Jahren?

Carina Mayr: Die Zeichen stehen aktuell auf Transformation. Insbesondere der rapide technologische Fortschritt, der mithilfe von KI „Übersetzung-to-go“ für jede Hosentasche parat hält, lässt unsere Branche scheinbar überflüssig werden.

Doch ist das wirklich so? Und was heißt das konkret für die professionelle Übersetzungsarbeit im industriellen Umfeld?

Carina Mayr: Die Übersetzungstätigkeit ist an sich schon immer ein Bereich, bei dem viele sich bemüßigt fühlen auf Grundlage eigener Sprachkenntnisse, eine Bewertung abzugeben, ohne den komplexen Hintergrund professioneller Übersetzungsarbeit für die Industrie zu kennen. Wir sehen, dass sich diese Tendenz im KI-Zeitalter verstärkt.

Die Übersetzungsindustrie kann sich der technologischen Entwicklung nicht entziehen. Die meisten Sprachdienstleister, Technologieanbieter und Übersetzer arbeiten längst mit Hochdruck daran, die Möglichkeiten von KI & Co. auszutesten und ihre Arbeitsweis und das Angebot darauf anzupassen.

Welche Rolle spielen dabei Qualität und Kundenerwartung?

Carina Mayr: Wir in der Branche wissen, welche Qualitätsansprüche und Erwartungshaltungen unsere Kunden an die Übersetzung bzw. Lokalisierung ihres Contents haben. Wir können einschätzen, was KI-Tools davon erfüllen können und was „out-of-the-box“ nicht geht. Wir können mit den Unternehmen klären, ob die Anforderungen auch in Zukunft die Gleichen bleiben oder sich im Sinne eines effizienteren Einsatzes von Technologie daran anpassen z.B. in Bezug auf durchgängig einheitliches Wording oder die Fehlertoleranz.

Wie verändern sich also Anforderungen und Prozesse durch den zunehmenden Einsatz von KI?

Carina Mayr: Hier wird sich in den kommenden fünf Jahren viel tun. Die technologischen Veränderungen werden auch eine tiefgreifende Anpassung der Arbeitsweise zur Folge haben, langgediente Preismodelle und Prozessabläufe stehen auf dem Prüfstand.

Aktuell sind hybride Prozesse mit dem Einsatz von bewährten CAT-Tools (Computer Aided Translation, die sog. Translation Memory Systeme) und Plug-ins von KI-Lösungen (wie bspw. DeepL oder ChatGPT uva.) bereits gang und gäbe. Diese folgen in den Workflows und Preismodellen noch hauptsächlich den bekannten Modellen.

Aber wie lange noch?

Carina Mayr: Aktuell sehen wir zwei Strömungen: Die Erste – KI first oder KI only, mit dem Ziel immer besserer und verlässlicherer KI-Modelle bzw. KI-Agenten. Mit ganz gezieltem menschlichem Eingreifen in möglichst geringem Umfang und ganz anderen Prämissen, wie wir es von CAT-Tools kennen. Die Zweite, bei der sich abzeichnet, wo KI-Tools im Übersetzungsbereich an ihre Grenzen stoßen. Hier sei nur das Stichwort Konsistenz und zuverlässige Verwendung von vorgegebenen Fachbegriffen genannt.

Werden sich die heutigen hybriden Prozesse langfristig durchsetzen – oder ablösen lassen?

Carina Mayr: Wie schnell sich der hybride Weg von CAT-Tools und KI-Lösungen auflösen wird und KI-Modelle ganz unabhängig von Translation Memorys und deren Grundidee der Wiederverwendbarkeit bereits übersetzter Inhalte zum Einsatz kommen, ist schwer zu sagen. Wir bereiten uns jedenfalls darauf vor. Dabei ist zu sagen, dass es solche Lösungen natürlich bereits gibt, weniger in unserem Fokusbereich des produzierenden Gewerbes, das in Deutschland und Europa vielen Vorgaben unterliegt, die einen ungehinderten Einsatz von KI zumindest erschweren oder teuer – weil individuell angepasst – machen.

Aus diesem Grund denke ich, dass sich in den nächsten Jahren ein Prozess etablieren wird, wie wir mit KI arbeiten können und dessen Spielregeln, Rahmenbedingungen und Erwartungshaltungen bei Anbietern und Käufern klar sind.

Und was ist mit ethischen Fragen?

Carina Mayr: Die Debatten in Bezug auf Ethik, Bias, Datensicherheit und den hohen Energieverbrauch, die mit dem Einsatz von KI einhergehen sind zwar im Gang, aber für meine Begriffe noch zu wenig präsent. Sie haben ihre Lobby, gehen aber angesichts der beeindruckenden Fortschritte der KI-Resultate leider etwas unter.

Welche Rolle spielt die KI für die Branche? Wird sie den Markt dominieren? Was sind die zentralen Entwicklungen, die zu erwarten sind?

Carina Mayr: Moderne KI-Modelle werden weiter optimiert, wodurch Übersetzungen zunehmend kontextsensitiv und stilistisch präziser werden. Besonders in häufig übersetzten Sprachen hat die Qualität praktisch die von professionellen menschlichen Übersetzungen erreicht – vor allem für allgemeine und geschäftliche Texte.

Aber reicht diese Qualität auch für rechtlich oder unternehmerisch sensible Inhalte?

Carina Mayr: Im Business-Umfeld und für Inhalte, die Bestand haben und für die ein Unternehmen auch in der Verantwortung oder Haftung steht, ist die Prüfung des Ergebnisses durch professionelle Übersetzer (sog. Post-Editoren) derzeit der Goldstandard. Sie verstehen die Ausgangssprache und können unternehmensspezifische Vorgaben umsetzen.

Wird dieser manuelle Prüfprozess zukünftig noch nötig sein?

Carina Mayr: Der Fokus der Entwicklung zielt hier darauf ab, möglichst nicht den gesamten übersetzten Content immer von einem menschlichen Experten prüfen zu lassen. Dafür bieten viele Systeme inzwischen eine sog. Quality Estimation an; hierfür schätzt ein zweites KI-System die Qualität der Übersetzung des ersten KI-Systems ein. Nur die Inhalte, die von der Quality Estimation als unzureichend eingestuft wurden, werden vom Post-Editor geprüft.

Das klingt gut, allerdings darf man nicht vergessen, dass zunächst immer der Mensch entscheiden muss, was als unzureichend oder good enough gilt. Die KI nennt nur einen Wert, meist in Prozent, wie sie die Qualität einschätzt.

Was passiert, wenn diese Einschätzungen zu großzügig oder zu streng ausfallen?

Carina Mayr: Vor diesem Hintergrund gibt es natürlich auch die Bestrebungen, personalisierte & unternehmensspezifische KI-Modelle zu entwickeln. Diese Modelle können mit firmeneigenen Daten auf die gewünschte Fachsprache und Terminologie trainiert werden, um konsistentere Übersetzungen zu gewährleisten.

Wer kann sich solche spezialisierten Modelle leisten?

Carina Mayr: Große Unternehmen haben die Ressourcen und das Know-how dafür, andere können wir als Sprachdienstleister mit unseren KI-Spezialisten bei diesen Aufgaben unterstützen.

Und wie sieht es mit Datenschutz aus – ein immer wichtigeres Thema?

Carina Mayr: Wie oben schon erwähnt, werden Datenschutz und ethische Fragen immer wichtiger. Übersetzungs-KIs sind oft auf Cloud-Dienste angewiesen. Wir achten auf die Standorte der Cloud-Anbieter und besprechen dieses Thema mit unseren Kunden sehr transparent. Unser Angebot umfasst auch lokale KI-Modelle, um sensible Daten zu schützen.

Was bedeutet der Einsatz lokaler KI für Aufwand und Kosten?

Carina Mayr: Wie man sich vorstellen kann, bedeuten lokale KI-Lösungen, die mit Unternehmensdaten trainiert werden oder ein angepasster Workflow unterschiedlicher KI-Agenten auch eine höhere Investition als der Einsatz von KI „von der Stange“.

Ein Fazit ist, dass KI in all ihren Ausprägungen von NMT über GPT bis zu RAG usw. im Übersetzungsbereich beeindruckend gute Ergebnisse liefert. Über sehr viele Sprachen hinweg.

Sind auch Minderheitensprachen endlich gut bedient?

Carina Mayr: Gerade für Minderheitensprache sind die Möglichkeiten vielversprechend, endlich mehr Content auch für diese Nutzergruppen schnell und günstig zur Verfügung stellen zu können.

Aber ist das Ergebnis wirklich verlässlich genug?

Carina Mayr: Allen muss klar sein, dass KI ohne menschliche Prüfung nicht 100 % zuverlässig ist und nicht immer konsistent ist (nicht innerhalb eines Dokuments und nicht beim Update eines Textes nach einiger Zeit). Die Ergebnisse sind so gut, weil der Datenpool immens groß ist. Diese Vielzahl an Möglichkeiten hat aber auch zur Folge, dass KI nie zu 100 % vorhersehbar ist. Daher ist es entscheidend, die Funktionsweise der Modelle zu verstehen – nicht bis ins letzte Detail – aber so weit, dass wir fundierte Entscheidungen treffen und verlässliche Übersetzungsqualität sicherstellen können.

Wie zeigt sich diese Unsicherheit in der Praxis?

Carina Mayr: Wir haben diese Erfahrung auch beim Einsatz von KI für die Bereinigung einer großen Datenbank gemacht. Obwohl das Modell über den Prompt bei mehreren 100.000 Segmenten Eigennamen erkannt hat, tat es dies bei einigen Hundert nicht. Sie können zum Thema logisches Denken der KI auch mal nach dem Strawberry-Test suchen.

Wo ist KI aber nun eine echte Hilfe – und wo stößt sie an ihre Grenzen?

Carina Mayr: Bei itl im Haus prüfen wir ebenfalls, an welchen Stellen uns KI im Prozessablauf das Leben erleichtern könnte.

Dabei hat sich eine Trennlinie herauskristallisiert, die zum oben gesagten passt: wenn eine KI langwierige manuelle Arbeiten, wie Suchen, Sortieren, Transkribieren usw. übernehmen kann und die Ergebnisse im Workflow ohnehin nochmals bearbeitet werden, ist die KI eine große Hilfe. Wenn eine langwierige manuelle Arbeit aber ein 100 % verlässliches Ergebnis liefern muss, weil der Output ohne weiter Prüfung in den nächsten Arbeitsschritt läuft, dann lasse ich lieber unsere Programmierer ein Skript dafür schreiben und verlasse mich nicht auf die KI.

Unser KI-Kompetenzteam und Localization Engineering kann Detailfragen hierzu besser beantworten. Diese Teams stehen auch unseren Kunden und Interessierten gern Rede und Antwort oder bereiten einen Proof of Concept für den gewünschten Anwendungsfall vor.

Warum bleibt menschliche Sprachkompetenz trotz KI so wichtig?

Carina Mayr: Sprachmodelle liefern beeindruckende Ergebnisse, doch sie haben ihre Grenzen: Sie interpretieren nicht immer kontextgerecht, verstehen keine Emotionen, achten nicht eigenständig auf Datenschutz und treffen keine bewussten Entscheidungen. Genau hier ergänzt menschliche Sprachexpertise den Einsatz von KI – mit Verstehen, Verantwortung und Fingerspitzengefühl. Denn Sprache ist mehr als Daten – sie ist Beziehung, Wirkung und Haltung.

Vielen Dank für das Interview, Frau Mayr. 

Über itl Institut für technische Literatur

1982 gegründet, beschäftigt itl mit Hauptsitz in München und Niederlassungen und Standorten in Stuttgart, Wien, Linz, Graz (A), Kreuzlingen (CH) und Brașov (RO) derzeit rund 120 festangestellte Mitarbeiter. Zu den Kunden zählen unter anderem ABB, ABUS, ALPMA, Andritz, BMW, CeWe, Daimler, Doka, Doppelmayr, Dräger, Festo, Frequentis, Fresenius, Gigaset, Häfele, KEBA, Liebherr, Rehau, Sick, Siemens, Schuler, TDK, VW, Warema, Wirecard, WMF, Yaskawa und viele mehr.

Die Kernkompetenzen von itl liegen in Übersetzung, Redaktion, Publishing und Consulting, wobei insbesondere Wert auf die Optimierung und Automatisierung der Prozesse im Dokumentlebenszyklus gelegt wird. itl ist TISAX-geprüft und zertifiziert nach ISO 17100, ISO 9001 sowie nach ISO 18587. itl ist aktives Mitglied der tekom und der Tecom Schweiz.

Firmenkontakt und Herausgeber der Meldung:

itl Institut für technische Literatur
Elsenheimerstraße 65-67
80687 München
Telefon: +49 (89) 892623-0
Telefax: +49 (89) 892623-111
https://www.itl.eu

Ansprechpartner:
Marco Ebner
Marketing
Telefon: 015237918185
E-Mail: marco.ebner@itl.eu
Für die oben stehende Story ist allein der jeweils angegebene Herausgeber (siehe Firmenkontakt oben) verantwortlich. Dieser ist in der Regel auch Urheber des Pressetextes, sowie der angehängten Bild-, Ton-, Video-, Medien- und Informationsmaterialien. Die United News Network GmbH übernimmt keine Haftung für die Korrektheit oder Vollständigkeit der dargestellten Meldung. Auch bei Übertragungsfehlern oder anderen Störungen haftet sie nur im Fall von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Die Nutzung von hier archivierten Informationen zur Eigeninformation und redaktionellen Weiterverarbeitung ist in der Regel kostenfrei. Bitte klären Sie vor einer Weiterverwendung urheberrechtliche Fragen mit dem angegebenen Herausgeber. Eine systematische Speicherung dieser Daten sowie die Verwendung auch von Teilen dieses Datenbankwerks sind nur mit schriftlicher Genehmigung durch die United News Network GmbH gestattet.

counterpixel