Wie hat sich die deutsche Start-up-Szene in den letzten Jahren entwickelt?
„Die Start-up-Szene in Deutschland wächst stetig. Wo zunächst Investoren und Fördereinrichtungen aus dem Ausland den Ton angaben, übernehmen nun auch zunehmend deutsche Investoren eine bedeutende Rolle bei der Finanzierung. Und wir erwarten, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt.
Natürlich gibt es Bereiche, in denen in Deutschland massiv Verbesserungsbedarf besteht. So etwa bei der ungünstigen Besteuerung von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen nach deutschem Steuerrecht. Auch wird die Beschäftigung ausländischer Experten durch die außerordentlich lange Dauer bei der Visavergabe in Deutschland erschwert – so benötigt man in Deutschland für eine Visabeantragung im Schnitt drei Monate. Auch die Beauftragung von freiberuflichen Experten ist im Vergleich zu unseren Nachbarländern recht umständlich, stark reglementiert und sehr bürokratisch. Politik und Verwaltung sind hier gefragt, um das Umfeld für Start-ups in Deutschland in naher Zukunft weiter zu verbessern.“
Arbeiten deutsche Fachkräfte inzwischen lieber für Start-ups als für traditionelle Großunternehmen?
„Definitiv ja. Besonders, wenn sie bereit sind, Risiken einzugehen, und darüber hinaus eine praktische und unternehmerische Grundeinstellung sowie ein hohes Maß an Motivation mitbringen. Die Arbeit für ein Start-up mag weniger beständig sein als in einem multinationalen Großkonzern, doch liegen die Vorzüge von Start‑ups in der größeren Eigenverantwortung, den flachen Hierarchien und einer steilen Lernkurve. Während Mitarbeiter in großen Unternehmen meist nur einen recht kleinen Aufgabenbereich abdecken, übernehmen sie in Start-ups wesentlich vielfältigere Aufgaben und größere Verantwortung.
Für die Arbeit in einem Start-up müssen Fachkräfte über eine gewisse Grundeinstellung verfügen und es ist sehr interessant zu beobachten, wie diese Art von „Start-up-geeigneten Kandidaten“ immer beliebter wird. Eine wachsende Anzahl deutscher Unternehmen hat inzwischen den Ausdruck „Start-up-Mentalität“ in seine Stellenausschreibungen aufgenommen, selbst die großen Konzerne. Und die wirklich einfallsreichen Unternehmen ermutigen die Menschen sogar, ihr eigenes Start-up zu gründen, denn die nebenberufliche Arbeit im eigenen Start-up fördert zusätzliche Fähigkeiten, die auch für den Arbeitgeber von besonderem Interesse sein können. So dient das Start-up im Grunde als Trainingslager für Unternehmergeist, Technologiekompetenz, Innovation und Agilität.”
Unternehmerisch denkende Fachkräfte sind also hart umkämpft. Können sich Start-ups in diesem Kampf überhaupt gegen die großen Unternehmen behaupten?
„Das können sie durchaus, sowohl auf der Führungs- als auch auf anderen Ebenen der Unternehmenshierarchie. Für eine langfristige Planung sind jedoch überall Fachkräfte erforderlich und dies stellt auch Start-ups zunehmend vor Probleme.
Führungskräfte verdienen zwar in Start‑ups im Schnitt etwa ein Drittel weniger als in einer vergleichbaren Position in einem Großkonzern, was schon ein recht großes Lohngefälle ist. Doch auf lange Sicht kann sich der Wechsel in ein Start‑up durchaus lohnen. So können diese ihren Führungskräften Mitarbeiterbeteiligungspakete bieten und damit im Falle eines Verkaufs oder Börsengangs herausragende Erlöse liefern.
Ansonsten liegt das Gehalt in Start-ups lediglich 10‑15 % unter dem Niveau von Großunternehmen. Ein karrieremäßiges Plus ist, dass die Arbeit in einem Start‑up den eigenen Marktwert für den späteren Karriereverlauf erheblich steigert. Ich vergleiche es mit einem berufsbegleitenden Studium: Fachkräfte in Start-ups lernen viele neue Dinge und sammeln in nur wenigen Jahren enorm viel Erfahrung, was so in großen Unternehmen aufgrund des recht beschränkten Aufgaben‑ und Verantwortungsbereichs nicht möglich ist. Wie die damaligen ‚Google-Kandidaten‘ können heutige Fachkräfte mit einer Anstellung in einem bekannten und angesehenen Start-up später aus unzähligen Jobangeboten wählen und die starke Nachfrage wird dazu führen, dass sich der Lohnunterschied zum Anfang der Karriere langfristig amortisiert. Unternehmen mit einem Interesse am Know-How-Transfer werden tief in die Tasche greifen, um einen solchen Kandidaten für sich zu gewinnen.“
Was können Start-ups sonst noch tun, um sich auf dem hart umkämpften Fachkräftemarkt zu behaupten?
„Ein genereller Tipp für die Außendarstellung junger Unternehmen ist es, den Mehrwert durch die Arbeit im Start-up noch deutlicher zu kommunizieren: das Mehr an Erfahrungen, die Nähe zu Zukunftstechnologien und die schnelleren Karriereoptionen sind herausragend.“
Welche Positionen sollten Start-ups in Deutschland zuerst besetzen?
„Die meisten internationalen Start-ups, die neue Standorte in Deutschland eröffnen, verfügen bereits über die notwendigen Technologien und ein eigenes Produkt. Für sie geht es in erster Linie also darum, absatzrelevante Stellen zu besetzen, wie zum Beispiel im Vertrieb und im Customer Service.
Die meisten deutschen Start-ups verfügen bei ihrer Gründung bereits über einen Head of Technology oder einen Head of Product. Doch zur Erfüllung der Aufgaben eines Head of Finance fehlt den meisten Gründern im frühen Stadium, das Skillset des erfahrenen Finanzers im Gründungsteam. Deshalb sollte die Stelle des CFO, sofern nicht vorhanden, mit Vorrang besetzt werden.
Der Aufgabenbereich eines CFO im Start-up ist äußerst vielschichtig und anspruchsvoll. Es geht hier nicht nur um die Berechnung von Kennziffern. Finanzielle Modelle müssen ebenso fachmännisch erarbeitet werden wie finanzielle Prognosen und die Präsentation dieser Zahlen müssen letztendlich die Investoren überzeugen. Die Anforderungen an die Fähigkeiten des CFO eines Start-ups sind enorm vielfältig.“
In welchen Bereichen sind Fachkräfte in Deutschland derzeit besonders schwer zu finden und wie können diese Stellen dennoch besetzt werden?
„Besonders IT-Fachkräfte sind schwer zu finden. Wie diese Stellen trotzdem besetzt werden können? Nun, ich denke, dass dies über den Technologieansatz gelingen kann. Wesentlicher Teil des Geschäftskonzeptes eines jeden Start-ups ist die technologische Innovation – ein überzeugendes, attraktives Argument für IT’ler. Darüber hinaus gehören IT-Experten zu den wenigen Menschen, die ihre Freizeit gerne mit Weiterbildungsangeboten verbringen; denken wir nur an Hackathons, zahlreiche IT-Zertifizierungen und -Online-Kurse.
Als Trumpf beim Recruitment sollten Start-ups allgemein stärker auf ihre Innovationskraft und ihren technologischen Vorsprung setzen. Denn das macht sie aus. Für ein Start‑up tätig zu sein, bedeutet mehr als nur einem Job nachzugehen. Die Arbeit dort gleicht vielmehr einer anspruchsvollen und dynamischen Form der Ausbildung, die Mitarbeiter bestens auf ihre Zukunft vorbereitet. Genau diese Alleinstellungsmerkmale sollten Start-ups bei ihrer Suche nach geeigneten Fachkräften ins Feld führen. Eine Tätigkeit im Start-up sollte als eine gerne gesehene und besonders vielschichtige Qualifikation bewertet werden – und keinesfalls als ein unsicheres Himmelfahrtskommando.“
Robert Walters ist als eine der führenden Personalberatungen spezialisiert auf die Besetzung von Fach- und Führungskräften auf allen Managementebenen. In Deutschland besetzen wir Positionen in Festanstellung und im Interim Management in den Bereichen Finance & Accounting, Banking & Financial Services, Human Resources, Information Technology, Procurement & Supply Chain und Sales & Marketing. Robert Walters wurde im Jahr 1985 gegründet und ist heute international in 31 Ländern vertreten.
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